Cover: Die Feuerfälle von Namatu von J. R. Tarson

Die Feuerfälle von Namatu

Science-Fiction-Erzählungen aus der Spindrahl-Föderation

Ein unglaublicher Rennpilot und ein fremdes Signal

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1 · Die Feuerfliege

Noch 60 Sekunden bis zum Start. Die Triebwerke surrten im Leerlauf.

Fynn Arben nahm seit zehn Jahren an Trianova-Rennen teil. Diese Saison verlief gut: Es hatte erst drei Unfälle und zwei tote Piloten gegeben.

Wie seine Konkurrenten hatte auch Fynn einen Pilotennamen. Bereits als junger Mann hatte er ›Die Feuerfliege‹ gemocht und diesen Namen nie mehr abgelegt. Sein Markenzeichen: drei goldene Streifen auf dem rechten Triebwerk und dem Helm.

Fynn lehnte sich zurück und versuchte, eine bequemere Sitzposition einzunehmen. Für die Konstrukteure war das Wichtigste die Geschwindigkeit. Entsprechend unkomfortabel waren die 15 Meter langen Renner. Über den drei röhrenartigen Antrieben und dem Tank saß der Pilot direkt hinter einem Windschutz. Es wurde auf alles Unnötige verzichtet, wie eine geschlossene Kanzel oder ein Lebenserhaltungssystem. Da die Rennen sowohl in der Atmosphäre als auch zwischen den Planetenbahnen geflogen wurden, musste jeder Pilot einen Raumanzug tragen.

›Sicherheit ist etwas für Verlierer‹ war ein beliebter Spruch. Es gab weder einen Schleudersitz noch sonst irgendein System, um den Piloten zu schützen. Für den Notfall trug Fynn immerhin einen Raketenrucksack. Er hatte ihn nie gebraucht, fühlte sich aber damit sicherer.

Noch 30 Sekunden bis zum Start. Dieses Mal auf Parangatus – einem Planeten, der vorwiegend mit Urwald überzogen war.

Fynn stellte seinen Sitz noch einmal richtig ein, prüfte die Kontrollen und verdunkelte das Sichtglas seines Helms. Er schaute nach rechts auf seine zwanzig Konkurrenten. Alle Renner waren schnurgerade an der Startlinie ausgerichtet.

Direkt neben ihm war Skipio Gannar aufgefahren, Pilotenname ›Skipp‹, sein stärkster Mitbewerber um den ersten Platz der Saison. Sein Renner und Helm waren komplett rot. Als hätte Skipp bemerkt, dass er beobachtet wurde, drehte er den Kopf und hielt die Hand an den Helm zum Gruß. Auch er hatte bereits seine Sichtscheibe verdunkelt – sein Gesicht war nicht erkennbar.

Fynn fühlte sich ertappt und wandte den Blick wie zufällig zur Tribüne. Wie bei jedem Rennen waren die Ränge bis auf den letzten Platz ausverkauft. Obwohl die Zuschauer nur die ersten Kilometer mit bloßem Auge verfolgen konnten, waren Tickets heiß begehrt. Fynn vermutete, dass jeder insgeheim darauf hoffte, dass wieder ein Renner zu Schrott geflogen wurde. Im Durchschnitt starb bei jedem fünften Rennen ein Pilot.

Noch 20 Sekunden. Fynn war wie bei jedem Start entspannt. Es gab einen Grund, warum er meistens schneller flog als die Konkurrenz, warum er jeden Unfall umschiffte und warum er nie mit seinen Konkurrenten beim Passieren der Ringe an den Kontrollpunkten zusammenstieß: Er hatte eine besondere Wahrnehmung für die Zukunft. Er sah die nächsten Sekunden wie durch einen Nebel, je weiter in der Zukunft, desto weniger klar. Und je unsicherer die mögliche Zukunft, desto nebelhafter. Er hatte nie genau herausgefunden, wie weit diese Wahrnehmung reichte, aber es waren nur wenige Sekunden. Zeit genug, um bei Trianova-Rennen einen wichtigen Vorteil zu haben.

Zehn Sekunden. Er legte die rechte Hand auf den Schubhebel.

Als Kind hatte er gedacht, dass jeder Mensch diesen Zukunftssinn haben müsste. Irgendwann war ihm klargeworden, dass niemand sonst im Voraus erkannte, dass gleich eine Flasche vom Tisch gestoßen wurde, ein Ast vom Baum abbrach und vor die Füße fiel oder unerwartet ein Kamponi aus einem Busch herausstürmte. Seither hatte er versucht, diese Fähigkeit gegenüber seiner Umwelt zu verheimlichen und es mit einem exzellenten Reaktionsvermögen zu erklären.

Leider war diese Gabe auf einem Agrarplaneten nicht besonders nützlich gewesen, denn es passierte selten etwas Unerwartetes. Als dann ein Trianova-Rennzirkus auf seinem Heimatplaneten gelandet war, hatte er seine Berufung gefunden. Er hatte seine Eltern um einen Kredit angebettelt, um sich einen gebrauchten Renner kaufen zu können. Das Geld hatte er schon nach einem Jahr zurückgezahlt. Er war für diese Rennen wie geboren.

Mittlerweile waren einige Konkurrenten misstrauisch geworden und konnten sich nicht erklären, wie er in seinem Alter noch Rennen fuhr. Mit seinen 33 Standardjahren waren die meisten Piloten schon lange verunglückt.

Vielleicht sollte er sich irgendwann einmal zur Ruhe setzen. Doch er verwarf diesen Gedanken. Was sollte aus seiner Crew werden? Ennow, der Mechaniker, und Holdi, seine Managerin, waren schon eine halbe Ewigkeit bei ihm.

Er versuchte, sich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Die große Anzeigetafel zeigte: 5 – 4 – 3 – 2 – 1, dann ein kurzer Ton aus einem Signalhorn.

Fynn zog den Schubhebel komplett zu sich heran. Die Triebwerke aller Renner heulten gleichzeitig auf.

Sofort wurde er in den Sitz gepresst. Er fühlte einen bleiernen Druck auf dem Brustkorb und atmete mit einem kurzen Stoß aus. Ein erfahrener Pilot wie Fynn kam damit klar. Es gab aber immer wieder Anfänger, die schon beim Start ohnmächtig wurden und gegen den nächsten Felsen krachten.

Die ersten Kilometer führten über eine Dschungellandschaft. Erst nach dem dritten Kontrollpunkt-Ring sollte es in den Weltraum in Richtung des Mondes von Parangatus gehen.

Fynn schaute sich um. Er war im Mittelfeld. Sollten sich doch die Halbstarken ganz vorn gegenseitig das Leben schwermachen. Er konnte warten. Das Rennen würde sich sowieso erst gegen Ende entscheiden, nachdem der Mond umrundet war.

Der Geradeausflug mit hoher Geschwindigkeit hatte fast etwas Meditatives. Gigantische Bäume glitten unter ihm entlang, dazwischen Nebelfahnen. Jetzt bloß nicht wegdämmern.

Plötzlich bemerkte er, dass etwas nicht stimmte. Wie durch einen Schleier spürte er mit seinem Zukunftssinn, dass in einigen Sekunden sein Renner explodieren würde.

Er griff nach der Kontrolle für den Raketenrucksack am linken Handgelenk und drückte einen Schalter. Warnleuchten im Cockpit flackerten auf. Nach einem Augenblick, der ihm wie eine Ewigkeit vorkam, zündete der Strahl seines Rucksacks und beschleunigte ihn nach oben. Sofort bremste ihn der Gegenwind ab. Sein Renner flog noch eine Sekunde unter ihm weiter.

Dann kam die Explosion. Der Tank war nahezu voll gewesen – ein orangefarbener Ball aus Plasma blähte sich über hundert Meter auf.

Die Piloten hinter ihm versuchten auszuweichen. Einige streiften das Feuer, flogen aber offensichtlich unbeschadet weiter.

Dann war der Schwung erschöpft und er begann zu fallen. Über die Rucksacksteuerung veränderte er die Flugrichtung. Unter ihm kamen die Baumriesen immer näher. Es gelang ihm, eine Lücke für die Landung zu finden. Fünf Meter über dem Boden wählte er die Kontrolle für ein automatisches Landemanöver.

Seine Füße gruben sich sanft in den Moosboden. Er blickte zum Himmel – die Plasma-Kugel verglühte und letzte Wrackteile stürzten herab.

Irgendetwas war so richtig schiefgelaufen. Er drückte den Kommunikationsschalter am Handgelenk. »Holdi, kannst du mich abholen? Wir haben unseren Renner verloren.«

 

Fynn hetzte in den Hangar, in dem Ennow und Holdi schon warteten.

Ein automatischer Hublader fuhr eine Transportpalette mit den Wrackteilen herein und setzte sie ab. Das Lastenfahrzeug drehte sich danach um und verschwand eilig, fast so, als wäre es ihm peinlich gewesen.

Fynn trat zur Palette und hob eines der Teile für einen Moment an, um es nach kurzer Zeit resigniert fallen zu lassen. Es schlug scheppernd auf dem Stapel auf.

»Wie konnte das passieren?« Fynn war außer sich. »Kurz vor der Explosion war die Kontrollleuchte der Treibstoffpumpe aufgeflackert.«

Ennow kam zur Palette, griff sich in den Nacken und schaute zu Boden. »Du weißt, dass ich den Renner nicht erst seit gestern warte. Mit der Pumpe war alles tipptopp in Ordnung.«

»Das Wichtigste ist doch, dass du dich retten konntest«, bemerkte Holdi. »Manchmal hast du einfach mehr Glück als Verstand.«

Fynn schaute sie an. Sie war für ihn seit Jahren eine gute Freundin, aber eher wie eine große Schwester. Er fragte sich, wie viel sie von seiner Fähigkeit ahnte.

»Wir sind mitten in der Saison und du hast keinen Renner«, fuhr Holdi fort. »Das nächste Rennen auf Betana-Podia ist schon in acht Tagen. Das ist wenig Zeit. Ganz davon abgesehen, dass wir nicht genug Geld haben.«

»Was ist in der Kriegskasse?«, fragte Fynn.

»Ich habe das mal kurz überschlagen. Es reicht bestenfalls für die Hälfte eines Gebrauchten. Leider zahlen wir immer noch den Renner ab, dessen Überreste gerade vor uns liegen. Kurz gesagt: Wir brauchen unbedingt Sponsoren.«

Fynn atmete frustriert aus. Finanzen waren ihm schon immer ein Graus gewesen. Er hatte Glück gehabt, Holdi gefunden zu haben, die sich um das Geld kümmerte.

»Okay ...« Fynn dachte nach. »Wir lassen das nächste Rennen auf Betana-Podia aus und suchen stattdessen nach Geldgebern. Auch wenn ich die Gewinnpunkte dann abschreiben muss, habe ich immer noch ausreichend Vorsprung, um Saison-Erster zu werden.«

Eigentlich glaubte Fynn nicht daran, aber er wollte Zuversicht ausstrahlen.

Als wäre die Stimmung nicht schon genug am Boden gewesen, wählte sein ärgster Konkurrent Skipp genau diesen Augenblick, um durch das Hangartor hereinzukommen.

»Super gemacht, Fynn. Der Klassiker – Explosion des Treibstofftanks.«

Er kam näher und grinste provokativ.

Fynn hätte ihm am liebsten eines der Wrackteile in sein loses Mundwerk gestopft.

»Weißt du eigentlich«, fuhr Skipp fort, »dass man noch in tausend Kilometern Entfernung den Knall gehört hat?«

»Was willst du?« Ennow stellte sich ihm in den Weg.

»Nur mein Beileid ausdrücken ...« Skipp schaute gespielt mitleidig auf die Palette mit Wrackteilen. »... und dir ein Angebot machen.« Er deutete auf Ennow. »Hast du es nicht satt, für einen Verlierer zu arbeiten?«

Skipp wartete keine Antwort ab und öffnete stattdessen seine Brusttasche. Er kramte ein zylindrisches Objekt heraus – es war aus mattem Metall und erinnerte an einen Stapel Münzen. Er heftete es an Ennows weiße Jacke. Sofort färbte sie sich rot ein und auf der Brust erschien in gelben Lettern der Schriftzug ›Skipp‹.

»Ich habe tausend dieser Werbemarker produzieren lassen. Ich muss Sponsoren auf mich aufmerksam machen.«

Fynn wusste, dass Ennows Jacke nicht tatsächlich die Farbe gewechselt hatte. Werbemarker enthielten Oberflächenscanner und kleine Holo-Projektoren, die optisch die Werbebotschaft über das jeweilige Objekt legten.

Ennow zog den Marker ab und seine Jacke wurde wieder weiß.

»Ich habe keine Lust, für dich zu arbeiten. Ich kann dich nämlich nicht leiden.«

»Große Worte von einem Mechaniker ohne Renner«, entgegnete Skipp. »Wenn du mich suchst, weiß du, wo ich bin.«

Skipp drehte sich um und schlenderte zum Tor. Auf halbem Weg machte er flink einen Sprung zu einer Reihe von Spinden und heftete einen zweiten Marker an eine der Türen. Sofort wurde sie rot und zeigte den gelben Schriftzug. Danach lief Skipp, ohne sich noch einmal umzudrehen, hinaus.

»Verschwinde!«, rief Fynn ihm nach. Schnaubend stapfte er zum Spind und zog den Marker ab. Die Projektion verschwand augenblicklich.

Fynn schaute verärgert zum Hangartor. Erst jetzt fiel ihm auf, dass dort ein Mann wartete. Er trug einen schwarzen Anzug und einen weißen Rollkragenpullover. Sein Haar, genauso schwarz wie sein Anzug, war kurz geschnitten und akkurat frisiert.

»Und wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte Fynn kurz angebunden.

Der Mann trat ohne Eile an das Wrack heran. »Auch von meiner Seite herzliches Beileid.« Er hatte eine sonore Stimme und sein Mitleid klang im Gegensatz zu Skipps echt.

»Wir haben zu tun.«

»Wohl nicht allzu viel. Kein Renner, einen Haufen Schulden, keine Sponsoren. Und wenn Sie das Rennen auf Betana-Podia auslassen, wird es eng mit dem Saison-Sieg.«

Fynn war einen Moment unschlüssig – sollte er beeindruckt sein, dass der Unbekannte so viel wusste, oder sollte er wütend sein, weil er den Finger genau in die Wunde legte.

»Was kann ich für Sie tun?«, versuchte Fynn, wieder die Gesprächskontrolle zurückzugewinnen.

Der Mann wartete einen Augenblick, als wollte er sich sammeln.

»Ich glaube, wir können uns gegenseitig helfen, und zwar auf eine Weise, die Sie wahrscheinlich nie für möglich gehalten hätten.«

Fynn zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts.

Der Mann schaute in die Runde. »Ich vertrete bedeutende Kunden, die ganz spezielle Waren mit einem sehr engen Zeitplan ausliefern müssen.«

»Wir sind kein Transportunternehmen«, hakte Fynn ein.

Der Unbekannte ließ nicht erkennen, ob er aus der Ruhe gebracht worden war.

»Diese speziellen Waren – wie soll ich sagen ... sind nicht ganz legal unterwegs. Meine Kunden suchen daher immer nach unkonventionellen Lieferwegen.«

Holdi setzte an, etwas zu erwidern, Fynn signalisierte ihr aber abzuwarten.

»Also, mein Vorschlag.« Der Mann legte eine Pause ein. »Wir sponsern Ihnen einen neuen Renner und Sie helfen uns dabei, ein spezielles Bauteil auf einen Asteroiden im Betana-System auszuliefern.«

Fynn war fast überzeugt, er versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. »Wie genau soll das gehen?«

»Wir haben etwas in den Renner eingebaut, was auf den ersten Blick wie ein notwendiges Bauteil aussieht. Nur ein Experte, der ganz genau weiß, wonach er suchen muss, könnte es identifizieren. Sie werden den Renner ohne Probleme über die Eingangskontrollen bringen.«

Das war ja einfacher als erwartet. Fynn entspannte sich ein bisschen.

Der Mann schien das zu bemerken.

»Leider ist damit der Transport noch nicht beendet«, fuhr er fort. »Sie müssen das Teil auf einen Asteroiden bringen. Die engmaschigen Kontrollen auf Betana machen es notwendig, dass Sie das Teil während des Rennens dort ausliefern. Die Behörden von Betana sind sehr misstrauisch und durchleuchten jedes Schiff außerhalb des Orbits. Außer natürlich, es befindet sich gerade im Trianova-Wettkampf.«

Fynns Züge versteinerten.

»Ich soll während eines Rennens einen Asteroiden anfliegen?«

»Anders geht es nicht. Sie landen an einer Stelle, die wir Ihnen rechtzeitig mitteilen. Dort wird unser Kontaktmann das Bauteil aus dem Renner ausbauen. Das Rennen führt Sie sowieso durch den Asteroidengürtel und es ist nicht möglich, alle Renner lückenlos zwischen den Kontrollpunkt-Ringen zu verfolgen. Ihr Extra-Manöver wird nicht weiter auffallen.«

»Außer, dass ich Letzter werde«, wandte Fynn ein.

»Das stimmt. Aber Sie bekommen noch einen einzelnen Wettkampfpunkt, wenn Sie ins Ziel einlaufen. Damit können Sie die Saison noch gewinnen. Und Sie dürfen den Renner behalten.« Den letzten Satz sang der Mann fast. Seine Miene wirkte, als würde der beste Freund soeben eine todsichere Wertanlage anpreisen.

»Ich muss das mit meiner Crew besprechen.«

»Tun Sie das! Da wir beide wissen, dass Sie längst von dem Angebot überzeugt sind, komme ich in einer halben Stunde wieder. Das sollte reichen, um den Anschein zu wahren, dass Sie ernsthaft überlegt haben.« Der Mann machte eine Pause.

»Ach ja, bevor ich es vergesse: Es hat Sie nicht zu interessieren, wer meine Kunden sind und um welches Teil es geht. Suchen Sie auf keinen Fall im Renner danach.« Er blickte zu Ennow.

»Und noch ein Allerletztes: Der Renner ist eine Weiterentwicklung des neuesten T 3000. Er bringt 1000 Stundenkilometer in der Atmosphäre. Und er bekommt goldene Streifen aufgemalt.« Der Unbekannte lächelte selbstsicher.

 

Acht Tage später flog Fynn das Rennen seines Lebens. Nach dem Start in der Wüstenumgebung von Betana-Podia hatte er sich entgegen seiner üblichen Strategie sofort an die Spitze gekämpft. Der namenlose Mann hatte nicht gelogen. Der T 3000 lief wie geschmiert – und er hatte drei goldene Streifen am rechten Triebwerk.

Fynn durchflog den ersten Kontrollpunkt-Ring am Boden und zog den Renner steil nach oben. Er verließ die Atmosphäre und setzte einen neuen Kurs. Der nächste Wendepunkt lag direkt hinter dem Asteroidengürtel. Wagemutige Piloten wie Fynn kreuzten üblicherweise ein Asteroidenfeld, statt es langwierig zu umfliegen.

Erst kurz vor dem Start hatte er die Koordinaten für die Übergabe erhalten: ein relativ großer Brocken mit einem Zwanzigstel der Standardschwerkraft. Die Kursabweichung zum nächsten Kontrollpunkt-Ring betrug weniger als ein Grad – keiner würde Verdacht schöpfen.

Die erste Gruppe von Asteroiden kam in Sichtweite. Er drosselte die Geschwindigkeit und flog ein Ausweichmanöver. Einen Asteroiden, der dadurch seine Flugbahn kreuzte, umflog er mit einer sanften Rechtskurve. Nach einer kurzen Passage durch freien Weltraum zeichneten sich schon die nächsten Felsbrocken in der Ferne ab.

Fynn überprüfte kurz den Kurs. Sein Ziel war noch nicht in Sicht. Er flog weitere Ausweichmanöver. Da er keine Zeit verlieren wollte, verließ er sich voll auf seinen Zukunftssinn. Sekunden bevor sie in Sichtweite kamen, nahm er die Hindernisse wahr und passte seinen Kurs entsprechend an.

Fynn merkte, wie seine Konzentration nachließ. Er drosselte die Geschwindigkeit. Sein Navigationssystem zeigte ihm an, dass sein Ziel in Reichweite kam – noch einen der kleineren Brocken umfliegen, dann würde er den Asteroiden sehen.

Auf der Anzeige wurde der Zielkörper schematisch dargestellt mit einer X-Markierung auf der abgewandten Seite. Das war sein Landepunkt.

Mit einem Flug dicht über der Oberfläche umrundete er den Asteroiden halb. Dieser spezielle hatte einen Durchmesser von etwa tausend Kilometern und war mehr oder weniger kugelrund. Eher ungewöhnlich für solche Himmelskörper, die jegliche kuriose Form annehmen konnten.

Unter ihm zeigte sich zerklüfteter grauer Fels, aber keine großen Canyons oder Gebirge. Das vereinfachte den Anflug und die Landung.

Die Navigation meldete, dass das Ziel bald erreicht sein würde. Er stoppte die Triebwerke. Als er über der richtigen Position war, übergab er an die Landeautomatik. Manövrierdüsen fingen an zu arbeiten.

Während sich der Renner absenkte, schaute Fynn sich um. Außer einer düsteren Felsenlandschaft war nichts zu sehen. Wo war sein Kontaktmann?

Endlich spürte Fynn eine leichte Erschütterung. Touchdown.

Damit er nicht durch die geringe Schwerkraft vom Boden abprallen würde, betätigte Fynn die Kontrollen für die Bodenkrallen. Er spürte die Vibration, als sich Metallklammern ins Gestein bohrten.

Fynn blickte sich erneut um. Der geheimnisvolle Mann hatte ihm gesagt, dass er nicht ungeduldig werden solle, wenn die Kontaktperson einige Minuten später käme.

Fynn hatte sich ausgerechnet, dass er trotz seines Umwegs noch Drittletzter werden könnte. Aber nur, wenn er auf diesem trostlosen Felsen nicht allzu lange Däumchen drehte.

Mit einer komplexen Bewegung, die bei normaler Schwerkraft unmöglich gewesen wäre, schwang er sich aus dem Pilotensitz neben den Renner. Dabei hielt er die Hand am Einstiegsgriff fest, um nicht wegzuschweben.

Er hangelte sich weiter am linken Triebwerk nach vorn, drehte die Verriegelung auf und zog die Wartungsklappe ganz nach oben. Wenn sein Kontaktmann endlich kommen würde, wollte er keine Zeit mehr verlieren.

Ennow hatte selbstverständlich vor einigen Tagen den neuen Renner gründlich untersucht, obwohl der geheimnisvolle Mann es ihm verboten hatte. Keine einzige Schraube hatte Ennow ausgelassen, aber nur notwendige Bauteile gefunden.

Fynn hielt sich immer noch mit einer Hand am Renner fest. Bei der geringen Schwerkraft würde ein kleiner Sprung ihn viele Meter weit wegschleudern, und er hatte keine Lust, den Raketenrucksack einzusetzen, um wieder zurückzukommen.

Sein Blick schwenkte über den Horizont des Asteroiden. Obwohl, ›Horizont‹ war der falsche Begriff: Schon nach einigen Hundert Metern kam eine kleine Hügelkette, und weiter konnte er nicht schauen.

Fynns Blick wanderte über die graue Felsenlandschaft, als er mit seinem Zukunftssinn einen Plasma-Schuss vor sich in den Boden einschlagen sah. Sein Herz machte einen Extraschlag. Nein, er irrte sich nicht. Die Vision nachglühender Brocken ließ keinen Zweifel zu.

Nach einer kurzen Schockstarre griff er an das linke Handgelenk und startete den Raketenrucksack. Die Beschleunigung raubte ihm den Atem. Durch die geringe Schwerkraft war er schon in einer Sekunde viele Hundert Meter über der Oberfläche. Sofort stellte er den Schub ab und gab mit den Bremsdüsen einen kontrollierten Stoß in Gegenrichtung. Der Aufwärtsflug stoppte.

Er schnappte nach Luft. Einatmen, ausatmen. Sein Puls normalisierte sich nach einigen Augenblicken.

Über die Lagekontrolle des Rucksacks aktivierte er die Steuerdüsen. Er rotierte so, dass er nach unten blicken konnte.

Was er sah, beschleunigte erneut seinen Puls.

Ein roter Renner war dazugekommen. Daneben war die Quelle von Leuchtspuren eines Dauerfeuers, das wohl auf Fynn gerichtet war. Der Schütze war wahrscheinlich für ein genaues Zielfeuer zu weit weg, denn die Salven verfehlten ihn um einige Meter.

— Ende der Leseprobe dieser Story —
(Der Schluss folgt in der Buchausgabe.)


2 · Das fremde Signal

Dr. Hellda Olden saß in einem automatisch gesteuerten Versorgungsshuttle. Das Ziel war eine Forschungsstation auf einem Asteroiden im Sellmann-Sonnensystem. Der Shuttle pendelte ein Mal im Monat zwischen dem nächstgelegenen Planeten und der Station, um die Besatzung mit allem Lebensnotwendigen zu versorgen und Abfallprodukte abzutransportieren. Manchmal wurde auch Personal befördert.

Hellda war die Einzige an Bord, alle anderen Sitzreihen waren leer. Sie rutschte ungeduldig auf ihrem Sitz hin und her und versuchte, eine bequemere Position einzunehmen. Beim Entwurf des Shuttles hatte man wohl nicht an 85-Kilo-Frauen gedacht.

Vor zwei Tagen hatte sie noch auf ihrem wesentlich komfortableren Bürostuhl in der Universität gesessen, als der Institutsleiter sie zu sich gebeten hatte. Sie sollte sich aufmachen, ein künstliches Signal auszuwerten, das auf einer Forschungsstation irgendwo im Nirgendwo aufgefangen worden war. Sie hatte sich nicht weigern können und sich auf den Weg gemacht. Nach einer Überlicht-Passage zu Tellas Primus und Umstieg nach Sellmann Gamma, befand sie sich schließlich in diesem unbequemen Shuttle und wartete darauf, anzukommen.

»Ankunft in fünf Minuten«, sagte der Bordcomputer. »Bitte nehmen Sie die Sitzhaltung für das Andockmanöver ein.« Endlich.

Nach einem Rums und endlosen zwei Minuten wurde die Shuttle-Tür geöffnet und ein Mann Mitte zwanzig trat herein. »Willkommen auf der Forschungsstation Sellmann-5«, sagte er mit einem gewinnenden Lächeln. Sehr smart, ganz ihr Typ. Doch Hellda beschloss, nicht weiter in diese Richtung zu denken. Diese Zeiten hatte sie lange hinter sich.

»Dr. Hellda Olden, vom Institut für Exo-Kommunikation auf Karelis, sehr erfreut.« Sie hielt ihrem Gegenüber die Hand hin. Der ignorierte diese und umarmte Hellda stattdessen.

»Hier auf diesem Asteroiden sind wir eine kleine eingeschworene Gruppe, also keine Zeit für Förmlichkeiten. Ich bin Dr. Jovin Panchar, du kannst mich aber Jovin nennen.«

»Hellda.« Sie war überrumpelt und versuchte zu lächeln.

»Ich bringe dich erst einmal zur Chefin.« Er deutete auf die Shuttle-Tür.

Sie folgte ihm in die Station.

»Wir sind zehn Physiker, mit Stationschefin Professor Brimm Kantar, dazu ein Stationsarzt und ein Techniker«, fuhr er fort. »Wir erforschen die Petell-Strahlung, die hier besonders konzentriert vorkommt. Wir sind uns noch nicht sicher, warum das so ist, vermuten aber, dass die umgebenden Asteroiden eine Art Linseneffekt verursachen.«

Sie schritten durch ein paar Gänge, bis sie eine Tür mit der Aufschrift ›Stationsleitung Prof. Dr. Dr. Brimm Kantar‹ erreichten. Jovin drückte auf einen Knopf an der Wand. Nach einigen Sekunden glitt der Eingang zur Seite und Hellda hörte eine weibliche Stimme: »Kommen Sie herein!«

Hinter einem Schreibtisch saß eine ungefähr 40 Jahre alte Frau, sehr sportlich. Ihr langes, blondes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

»Ah, unser Gast. Willkommen auf meiner Forschungsstation.« Ihre Miene ließ jegliche Wärme vermissen.

Dann blickte sie zu Jovin. »Ich sehe dich heute Abend.«

Er nickte kurz und verschwand.

Hellda trat ein und setzte sich auf den einzigen freien Stuhl, obwohl ihr bewusst war, dass sie nicht dazu aufgefordert worden war.

Die Professorin musterte sie einige Sekunden. »Also, Dr. Olden. Ich will ehrlich sein. Sie sind gegen meine explizite Empfehlung zu uns gekommen.« Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und faltete die Hände, als würde sie sich sammeln.

»Wir untersuchen seit zwei Jahren die Effekte der Petell-Strahlung. Dieser Ort scheint einzigartig in der Galaxis zu sein. Diese Strahlung kommt normalerweise nur so schwach vor, dass sie gern im Sensorrauschen untergeht. Hier ist sie sogar so hoch, dass wir den ganzen Asteroiden mit einem Phasen-Schild schützen müssen, damit die Besatzung nicht geschädigt wird. Einige der Sensoren befinden sich daher in einem niedrigen Orbit.«

Ihre Miene verfinsterte sich noch mehr. »Es gab hin und wieder Probleme mit dem Schild, aber die haben wir jetzt im Griff. Wir können uns endlich auf unsere Forschung konzentrieren.« Sie erhob den Zeigefinger.

»Besser gesagt ›könnten‹. Denn unglücklicherweise haben wir vor drei Tagen ein künstliches Signal aufgefangen. Wir wissen nicht, woher es kommt. Wenn Sie mich fragen, hören wir wahrscheinlich nur eine kaputte Sonde oder auf irgendeinem rückständigen Mond hat jemand den Herd angelassen.« Sie lachte kurz. »Aber der Wissenschaftsrat hatte nichts Besseres zu tun, als sofort Alarm zu schlagen. Die sind der Meinung, dass wir das Handbuch für Erstkontakte Punkt für Punkt abarbeiten sollen, während mir die Sponsoren im Nacken sitzen.«

Die Professorin machte eine abschätzige Miene. »Das hat Sie auf den Plan gerufen. Leider ist durch Ihre Ankunft die Belegung der Forschungsstation ausgeschöpft. Eigentlich sollte heute ein Teilchenphysiker eintreffen. Das haben Sie erfolgreich verhindert.«

Hellda dachte über eine passende Bemerkung nach, sagte aber nichts.

»Ihnen eilt der Ruf voraus, dass Sie relativ effizient darin sind, unbekannte künstliche Signale zu entschlüsseln. Ich würde daher vorschlagen, dass Sie sich sofort an die Arbeit machen und uns nicht von bedeutenden Entdeckungen abbringen.« Sie setzte ein Lächeln ohne Herzlichkeit auf.

»Okay«, entgegnete Hellda, »wenn Sie mir dann einfach meinen Arbeitsplatz zeigen würden, fange ich sofort an.«

Die Professorin nickte und tippte auf ihren Schreibtisch. »Kantar an Thomer. Kommen Sie sofort in mein Büro!« Sie blickte zu Hellda auf. »Unser Techniker weist Sie ein. Ich wünsche uns allen, dass Sie das Rätsel schnell lösen.«

 

Wenig später saß Hellda in einem winzigen Raum. Der Techniker hatte sie wortkarg vom Büro der Stationschefin dorthin geführt. Alle Versuche, den Mann in ein Gespräch zu verwickeln, waren kläglich gescheitert. Er hatte ihr nur sachlich die physikalischen Eigenschaften des Signals beschrieben. Dann berichtete er von erfolglosen Experimenten, einfache Nachrichten auf derselben Frequenz zurückzuschicken. Schließlich hatte er sich verzogen.

Nun saß Hellda vor ihrem Computer und wollte Ordnung in das Chaos bringen. Die erste Grundregel der Interpretation künstlicher Signale war, nach mathematischen Mustern zu suchen. Sie rief ihr Programm auf, das sie für die Universität entwickelt hatte, und startete die Analyse. Nach einigen Sekunden trafen die Ergebnisse ein: Die Nachricht bestand aus einer Sequenz der Primzahlen bis 1000, die sich nach einer Pause wiederholte. Primzahlen ließen auf einen bewusst handelnden, intelligenten Sender schließen, denn sie wurden nie aus Versehen verschickt. In natürlichen oder zufälligen Signalen waren sie überhaupt nicht zu finden. Hellda pfiff durch die Zähne.

Sie konfigurierte ihr Programm so, dass es in den Sendepausen eine Antwort auf derselben Frequenz schickte: die Quadratzahlen bis 1000, den Anfang der Fibonacci-Folge und einige Ackermann-Zahlen. Damit wollte sie sich als intelligente Kommunikationspartnerin vorstellen. Ein Gegenüber würde vielleicht die gute Absicht erkennen. Wenn eine Antwort nicht nur Primzahlen, sondern weitere Informationen enthielte, würde das Programm in bestimmten Grenzen darauf reagieren und sich anpassen. Es könnte dann automatisch immer komplexere Nachrichten generieren.

Das würde etwas dauern. Am besten machte sie Schluss.

Ihr fiel ein, dass sie nicht wusste, wo sich ihr Quartier befand.

Hellda verließ ihren Arbeitsraum und hoffte, davor jemandem zu begegnen, den sie fragen konnte. Sie irrte einige Minuten erfolglos umher, als sie eine offene Tür entdeckte, daneben den Schriftzug ›Aufenthaltsraum‹.

Sie trat ein und hörte rhythmische Musik. Mehrere Besatzungsmitglieder gruppierten sich um zwei Stehtische, andere unterhielten sich an einer Seite des Raums. Auf den Tischen standen blaue Flaschen, außerdem Gläser mit bunten Cocktails.

Unsicher steuerte sie eine Gruppe an, in der sie Jovin erblickte.

»Hellda!«, rief dieser übertrieben laut. Er hielt seine Flasche in die Höhe. »Komm her!«

Hellda fühlte sich unwohl, denn alle drehten sich zu ihr um. Zwei Frauen musterten sie abschätzig, bildete sie sich ein. Warum nur waren die meisten Forscherinnen rank und schlank?

»Hallo, ich bin Hellda«, sagte sie zu der Gruppe. »Ich bin die, die versucht, das künstliche Signal zu entschlüsseln.«

»Ja«, erwiderte eine der Frauen ohne Begeisterung. »Wissen wir.«

Es entstand ein unangenehmes Schweigen.

»Aufgrund des Signals wurden meine Versuche auf unbestimmte Zeit verschoben. Angeblich stören sie den Empfang«, fuhr die Frau fort. »Ich stelle gerade eine Publikation mit einer engen Deadline fertig. Die Veröffentlichung kann ich jetzt natürlich vergessen.«

»Tut mir leid.« Hellda fühlte sich nicht wirklich schuldig. »Ich arbeite so schnell es geht.«

»Kommt schon!« Jovin schaute in die Runde. »Ist das eine Art, jemanden bei uns willkommen zu heißen?« Keiner rührte sich.

»Hellda, wie gehst du vor?«, fragte er nach einem peinlichen Moment.

»Also«, fing Hellda an, als würde sie einen einstudierten Vortrag beginnen. »Die Grundlage jeder Erstkontakt-Aufnahme ist Mathematik – die einzig universelle Sprache im Universum. Nachdem wir uns auf Ziffern, Grundrechenarten, Funktionen und Konstanten geeinigt haben, gehen wir über zur Geometrie: Linien, Kugeln, Kuben und so weiter.« Sie war in ihrem Element und geriet ins Schwärmen.

»Danach geht es um Physik. Lichtgeschwindigkeit, Gravitationskonstante und Atomgrößen sind überall gleich, daher verwendet man sie als Größenreferenz.« Sie hielt kurz inne und schaute sich um. Die Zuhörer schienen sich noch nicht zu langweilen.

»Dann wird es knifflig: Um Orte wie konkrete Planeten oder Sterne zu benennen, müssen beide Partner denselben Blick auf etwas haben, zum Beispiel auf unsere Milchstraße oder dieses Sonnensystem. So könnte ich diesen Asteroiden hier beschreiben, indem ich das Volumen exakt ausdrücke. Sollte mein Kommunikationspartner in der Nähe sein, erkennt er ihn anhand dieser Angabe wieder.« Sie blickte in die Runde und versuchte erfolglos herauszufinden, ob alle sie verstanden hatten.

»Das hört sich faszinierend an.« Jovin klang nicht überzeugend. »Ich hole dir erst einmal ein Kaktusbier und dann erzählst du weiter.«

Er kam aber nicht dazu, denn Brimm Kantar hetzte in den Aufenthaltsraum herein. Sofort verstummten alle Gespräche.

»Dr. Nabir ...«, sprach sie an einen der Männer gerichtet. »Müssen Sie nicht noch die südlichen Sensoren kalibrieren?«

Der Angesprochene schaute betreten. »Ich wollte das direkt morgen früh machen«, erwiderte er kleinlaut.

»Das ist mir zu spät. Erledigen Sie das jetzt!«

Ohne ein weiteres Wort verschwand Dr. Nabir.

»Dr. Panchar.« Sie wandte sich Jovin zu. »Soweit ich weiß, haben wir noch einen Termin.«

Jovin nickte und beide verließen den Aufenthaltsraum.

Nachdem beide außer Hörweite waren, fingen die Gespräche wieder an.

»Diese Termine kenne ich«, sagte eine der Frauen am Stehtisch und zeichnete zwei Anführungszeichen mit den Fingern in die Luft. »Der arme Jovin ist ihr aktueller Liebling, nachdem Rigar Nabir ausgedient hat.« Die Frau schaute zu Hellda und entspannte ihre Züge.

»Ich bin Yamali. Tut mir leid für den frostigen Empfang. Ich vermute mal, dass du lieber einen Cocktail haben möchtest als dieses fürchterliche Kaktusbier. Ich zeige dir, wo der Getränkeautomat steht, und dann stoßen wir an.«

Zwei Stunden und einige Cocktails später betrat Hellda müde ihr Quartier. Sie hatte sich noch angeregt mit Yamali über alles Mögliche unterhalten: Quantenphysik, die neuesten Methoden der Exo-Kommunikation und Kurzzeit-Beziehungen auf Forschungsstationen. Sie legte sich in ihre Koje und schlief nach fünf Minuten ein.

 

Hellda wurde durch einen Alarmton geweckt. Sie hatte das Gefühl, erst vor Kurzem eingeschlafen zu sein. Eine Computerstimme tönte aus dem Lautsprecher ihrer Kabine: »Konzentration der Petell-Strahlung auf kritischem Niveau. Sofort Gegenmaßnahmen ergreifen.« An der Decke ihres Quartiers blinkte ein rotes Licht – das Zeichen für die höchste Alarmstufe. Von draußen waren laute Stimmen zu hören. Hellda richtete sich auf und sammelte sich. Nach einigen Sekunden konnte sie endlich klar denken. Sie stand auf, zog sich die Arbeitsjacke über und taumelte in den Gang. Dann folgte sie den Stimmen, bis sie vor dem Kontrollraum angekommen war, und lauschte durch die offene Tür.

»Welcher Bereich ist betroffen?«, hörte sie Brimm Kantar laut fragen.

»Die Abteilung rund um das südliche Sensorbündel.« Das war der Techniker.

»Wir müssen den Phasen-Schild unbedingt stabilisieren«, entgegnete die Professorin. »Welche Optionen haben wir?«

»Wir könnten vielleicht kurzfristig die Energie von allen Sensorbündeln abziehen.« In der Antwort des Technikers schwang Unsicherheit mit.

»Tun Sie es!«, befahl die Professorin. »Sofort!«

— Ende der Leseprobe dieser Story —
(Der Schluss folgt in der Buchausgabe.)

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